Hochzeitstag einmal anders

Vor unserer Reise, als ich noch „im Hamsterrad“ war und jede Woche mindestens 60 Stunden als Angestellte gearbeitet habe, war die Zweisamkeit in der Partnerschaft meist auf das Wochenende beschränkt. Das fanden wir beide sehr schade, vor allem weil uns schmerzlich bewusst war, dass diese Zeit, in der ich für andere gearbeitet habe und sie somit beim Verwirklichen ihrer Träume unterstützt habe, unwiederbringlich weg ist. War das der Sinn des Lebens? Die Lebenszeit, in der wir am produktivsten und fittesten sind, dafür zu opfern, Zeit gegen Geld zu tauschen und für die Träume anderer zu arbeiten? Für uns war die Antwort ein klares „Nein“! Wir wollten ein selbstbestimmtes Leben führen, Zeit miteinander verbringen, wann wir es wollten, und nicht, wann andere es bestimmten.

Seit wir uns 1998 ineinander verliebt haben, war die Zeit, die wir gemeinsam verbringen konnten, das Wertvollste, was wir hatten. Uns wurde nie langweilig, wir haben unendlich viele Abenteuer gemeinsam erlebt – egal ob beim Extremsport, normalen Sport, in der Natur, mit Freunden oder alleine, beim Reisen oder daheim ... Wenn wir uns etwas geschenkt haben, dann waren es selten materielle Dinge. Wir schenkten uns am liebsten Zeit, die wir gemeinsam verbringen konnten.

Somit ist es für uns auch das größte Geschenk, als Vollzeitreisende gemeinsam die Welt zu erkunden. Mir ist klar, dass das nicht für jeden erstrebenswert ist, einige empfinden diese Lebensform vielleicht als bedrückend oder beengend. Ich könnte mir das mit einem anderen Partner auch nicht vorstellen. Aber wenn man das Glück hat, seinen Seelenverwandten zu treffen, dann ist die gemeinsame Zeit etwas ganz Besonderes und dann möchte man auch so viel Lebenszeit wie möglich miteinander verbringen.

Jetzt rückt unser 14. (standesamtlicher) Hochzeitstag immer näher, und eigentlich ist es selbstverständlich, dass wir ihn miteinander verbringen. Aber ich merke, dass Tom in einer Zwickmühle ist. Wir wollen auf dem Weg nach Reno einen Abstecher nach Soboba machen – dem Paradies für Speedflyer. Da dieser Abstecher aber genau auf unseren Hochzeitstag fällt, kann ich mir schon denken, was in Toms Kopf vorgeht. Einerseits will er diesen besonderen Tag mit mir verbringen, andererseits macht ihn der Gedanke an den Geschwindigkeitsrausch mit seinem Speedy ganz hibbelig. Da ich selber kein Speedflyer bin (das ist eine der wenigen Sportarten, die wir nicht gemeinsam betreiben, da sie mir einfach zu schnell ist), kann ich ihm diesmal keinen gemeinsamen Adrenalinrausch anbieten. Mal schauen, wie wir das „Problem“ lösen werden …

Jetzt bereiten wir aber erstmal alles für unsere Abreise vor. Nach mehr als zwei Monaten bei unseren Freunden in San Diego, geht die Reise endlich weiter, und wir merken beide das altbekannte Kribbeln im Bauch, das sich jedes Mal einstellt, wenn wir unser Wohnmobil reisebereit machen.

Wir brauchen nicht lange, um abfahrbereit zu sein. Zum Schluss muss nur noch die Honda auf der Motorrad-Halterung fixiert werden. Da wird uns erstmal bewusst, dass wir das schon seit Langem nicht mehr gemacht haben. Fast sieben Monate, um genau zu sein. So lange ist es nun schon her, seit uns das erste Motorrad in Mexiko geklaut wurde … Aber Tom hat es nicht verlernt. Auch wenn es in der Garageneinfahrt sehr eng und das Hantieren dadurch sehr schwierig ist, wuchtet er das Mopped mit ein paar geschickten Handgriffen trotzdem irgendwie auf die Halterung:

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Kurz vor der Abfahrt gibt es noch ein Abschiedsfoto mit unserer Gastfamilie ...

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... die darauf besteht, dass wir nach unserem Abstecher nach Reno nochmal wiederkommen. Wir werden sehen ... Jetzt machen wir uns aber erstmal auf den Weg in ein paar neue Abenteuer ...

Unsere Tagesetappe ist nicht sehr lang - lediglich 106 km - aber es gibt einen besonderen Grund, warum wir bis hierher und nicht weiter fahren 😉

Wir übernachten auf dem Walmart Parkplatz in Hemet …

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… und machen uns am nächsten Morgen direkt auf den Weg zur Speedflying-Base in Soboba, die nur wenige Minuten von Hemet entfernt ist. Hier haben wir auch die Möglichkeit, mit unserem Wohnmobil stehen zu bleiben – Platz ist genug da:

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Tom erkundigt sich erstmal, welche Voraussetzungen er mitbringen muss, um hier „mitspielen“ zu können. Schnell finden die Verantwortlichen mit ein paar speziellen Fragen heraus, dass Tom genug Erfahrung mitbringt, um hier fliegen zu dürfen. Jetzt ist er nicht mehr zu stoppen! Wenn da nicht noch eine „Kleinigkeit“ zu beachten wäre – heute ist unser Hochzeitstag …

„Du, Maaaaauuuuus …“, leitet er sein Anliegen ein, und schaut mich dabei mit seinem unwiderstehlichen Dackelblick an.

„Jaaaaaa …“, erwidere ich zuckersüß, und muss mir ein Grinsen verkneifen, denn ich kann mir denken, worum es geht.

„Was hältst du davon“, sagt er theatralisch, als wäre ihm gerade die Idee des Jahrtausends gekommen, „wenn wir diesmal zum Hochzeitstag was total Verrücktes machen?“

„Na, da bin ich aber mal gespannt“, schmunzle ich zurück und schaue ihn dabei erwartungsvoll an.

Er weiß nicht so recht, wie er anfangen soll und sucht verzweifelt nach den richtigen Worten. Ich kann mir das Leid nicht länger angucken und ergreife die Initiative:

„Der Platz hier ist so herrlich ruhig und es gibt weit und breit keine Ablenkungen. Ich würde die Stille so gerne ausnutzen und mir ein paar Stunden Zeit nehmen, um mich in das Buch, welches ich gerade lektoriere, vertiefen“, sage ich ganz unschuldig. „Vielleicht magst Du ja in der Zwischenzeit ein paar Mal fliegen, und im Anschluss gönnen wir uns zur Feier des Tages ein romantisches Abendessen.“

Toms Augen leuchten wie die eines kleinen Kindes, wenn es unterm Weihnachtsbaum das lang ersehnte Geschenk entdeckt. Er streichelt mir liebevoll über die Wange und gibt mir einen Kuss. „Ich liebe dich, Babe!“, flüstert er mir ins Ohr, bevor er sich in seinen nächsten Adrenalinrausch stürzt …

Jetzt ist er nicht mehr zu halten! Er hüpft auf das „Quad-Taxi“, welches ihn auf den Berggipfel bringt, von wo aus die Speedflyer starten. Später werde ich erfahren, dass die Serpentinenfahrt über die Schotterpiste ihm bereits schon vor dem Flug mit seinem Speedy den einen oder anderen Adrenalinstoß verpasst hat. Es ging ein paar Mal ziemlich nah am Abgrund, ohne dass der Weg irgendwie gesichert war. Total unüblich für amerikanische Verhältnisse …

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Etwas nervös warte ich unten auf Toms erste Landung. Es ist ein neues Gebiet, in dem er noch nie geflogen ist und der erste Erkundungsflug ist immer ein besonderer Kick.

Als ich ihn dann erblicke und er mit einem großen Grinsen im Gesicht in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit Richtung Landeplatz zurauscht, weiß ich, dass alles OK ist.

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Nach der ersten sicheren Landung ist mit klar, dass ich ihn jetzt nicht mehr aufhalten kann. Er hat wieder Blut geleckt und kann den nächsten Geschwindigkeitsrausch nicht mehr abwarten:

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Ich ziehe mich jetzt mit meinem Buch zurück und lasse ihn fliegen, bis die Sonne untergeht:

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Aus Toms Perspektive sieht das Ganze natürlich viel spektakulärer aus:

Mir wird gerade noch mal bewusst, wie sehr ich diesen Mann - mit dem ich seit fast 18 Jahren mein Leben teile - liebe. Mir ist auch vollkommen klar, dass das nicht selbstverständlich und daher ein ganz besonderes Geschenk ist. Voller Liebe und Dankbarkeit denke ich an den Sommertag 2001 zurück, als Tom mir vor laufenden Kameras in der TV-Sendung "taff" einen Heiratsantrag beim Canyoning gemacht hat:

Hach ja, gibt es auf dieser Welt eine schönere Erfindung als die Liebe...? 🙂


>>> So hat alles angefangen: 1 bis 2 Jahre Nordamerika – die Idee

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6 thoughts on “Hochzeitstag einmal anders”

  1. So ein super schöner Reisebericht und euer Video ??? wir sind ganz hin und weg, ihr seid ja so süß ?

    1. Vielen Dank, liebe Silke <3

      Ja, ich habe selber jedes Mal Pipi in den Augen, wenn ich das Video sehe - auch nach so vielen Jahren... Da hat Tom ganze Arbeit geleistet 😉

      Viele liebe Grüße,
      Enida

  2. .... oh, da kamen mir jetzt aber auch ein paar Tränchen... So eine schöne Liebeserklärung und die Augen von Enida...
    Von ganzem Herzen wünsche ich euch noch ein langes, langes glückliches Eheleben.

    1. Vielen lieben Dank, Beatrice 🙂
      Ich kann mich noch erinnern, wie sauer ich auf das Fernsehteam war, dass sie mein Gesicht in Nahaufnahme gezeigt haben, als ich losgeheult habe. Nicht gerade sehr vorteilhaft, aber was soll´s - dafür war´s ein einmaliges und unvergessliches Erlebnis 🙂
      Fühl´ Dich ganz lieb umarmt!
      Bussi,
      Enida

  3. Ich könnte Euer Großvater sein, aber eine so rührende Liebesgeschichte habe ich schon lange nicht mehr gelesen.

    Ich freue mich auf den nächsten Beitrag.

    1. Lieber Reiner,

      vielen, vielen Dank für Deine lieben Worte!
      Wir schreiben schon fleißig an den nächsten Beiträgen und hoffen, dass Du uns noch eine Zeit lang auf der Reise begleitest 🙂

      Ganz liebe Grüße
      Enida & Tom

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