LKW Unfall - Tom wird vom mexikanischen Militär mitgenommen

Egal wie lange man im Rettungsdienst gearbeitet hat, man gewöhnt sich nie an solche Bilder. Um das Geschehene zu verarbeiten, sprechen wir während der Weiterfahrt viel über unsere Gefühle und Empfindungen. Wir analysieren die Situation immer wieder und überlegen, was wir von unserer Seite hätten anders / besser machen können …

Und ehe wir uns versehen, sind wir in Guerrero Negro angekommen, der Stadt, die die Grenze zwischen Baja Nord und Baja Süd darstellt. Erkennbar an dem Wahrzeichen „stilisierter Adler“ (erinnert uns allerdings eher an eine Steak-Gabel ;))

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Ein ruhiges Plätzchen zum Übernachten ist dann auch schnell gefunden. Wir biegen in dem Örtchen Rosarito in eine Seitenstraße ein und haben freie Stellplatz-Auswahl:

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Es wird langsam dunkel und wir merken anhand der Temperaturen, dass wir uns Richtung Norden bewegen: Zum ersten Mal seit Monaten erleben wir Außentemperaturen unter 20° C! Puh, daran müssen wir uns erst wieder gewöhnen … Mein Körper reagiert sofort mit einer ausgereiften Gänsehautentzündung 😉

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Am nächsten Morgen sprechen wir noch mal unsere weitere Streckenplanung durch. So langsam müssen wir uns entscheiden, an welchem Grenzübergang wir wieder in die USA einreisen wollen. Es stehen drei zur Auswahl: Tijuana, Tecate und Mexicali.

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Da wir planen, wieder zum Fort Huachuca nach Sierra Vista (Arizona) zu fahren (hier können wir unter idealen Bedingungen – schnelles Internet & unzählige Freizeitmöglichkeiten - ungestört arbeiten), bietet sich der Grenzübergang Mexicali ganz gut an. Alles, was weiter östlich liegt, ist uns momentan zu heiß. Auch wenn wir als Touristen für die Drogenbanden uninteressant sind, wollen wir nur ungern aus Versehen zwischen die Fronten geraten, falls die Drogenbanden sich mal wieder gegenseitig beweisen wollen, wer in der Region gerade das Sagen hat.

Jetzt bleibt nur noch zu überlegen, wie wir nach Mexicali kommen. Fahren wir wieder dieselbe Strecke, über die wir auch gekommen sind (Mex 1 bis Ensenada), oder probieren wir etwas Neues und fahren querfeldein auf die Mex 5 über San Felipe? Der Weg auf die Mex 5 soll zwar eine Schotterpiste sein, die aber seit einiger Zeit ausgebaut wird. Wollen wir es einfach mal darauf ankommen lassen und schauen, wie weit wir mit unserem Schlachtschiff kommen? Hmmm … Warum nicht? Die Mex 1 kennen wir ja schon, also auf nach San Felipe!

Plan

Wir haben immer noch nicht kapiert, dass es keinen Sinn macht, auf einer Langzeitreise Pläne zu schmieden. Es kommt sowieso immer anders, als geplant …

Wir sind schnell wieder abfahrbereit und machen uns auf, zu unserer nächsten Tagesetappe. Wahrscheinlich werden wir noch eine Zwischenübernachtung machen müssen, bevor wir die Grenze überqueren. Wir werden sehen…

Kaum sind wir losgefahren, müssen wir schon wieder über den Einfallsreichtum der Mexikaner schmunzeln. Hier ein Fundstück aus der Abteilung „Straßenverkehrsordnung“ oder „Wie bastle ich mir mein eigenes Stoppschild“:

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Nach etwa zwei Stunden Fahrt nähern wir uns der Abzweigung nach San Felipe:

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Und schon sind wir wieder auf einer Schotterpiste:

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Wir wissen zwar, dass die Straße von der anderen Seite ausgebaut wird, aber wir haben keine Ahnung, wie weit die Jungs schon sind. Im schlimmsten Fall haben wir ein paar Stunden Schotterpiste vor uns … Und das macht keinen Spaß … Überhaupt keinen! Hätten wir ein Expeditions-Wohnmobil mit Allrad-Antrieb, wäre das alles ein Kindergeburtstag, aber unser Fred ist einfach nicht gemacht für Schlaglöcher und Waschbrettpisten … Wollen wir uns das wirklich antun?

Nach etwa einer Stunde im Schneckentempo auf der Schotterpiste (wir haben gerade mal 10 km geschafft!), kommen uns drei Autos entgegen und geben uns Handzeichen zum Anhalten. Es ist nicht leicht, Fred aus dieser enormen Geschwindigkeit zum Stehen zu bringen. Tom gibt aber sein Bestes und schafft es gerade noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen. Immerhin waren wir gerade mit satten 12 km/h unterwegs 😉

„In den Bergen ist ein Unfall passiert. Ein LKW ist umgekippt und versperrt die Straße. Da kommt ihr vermutlich nicht durch“, gibt uns einer der Mexikaner in gutem Englisch zu verstehen. „Bist Du Dir sicher, dass wir nicht durchpassen? Ist die Straße ganz blockiert?“, fragt Tom nach. „Nein. Autos kommen vorbei. Ihr aber wahrscheinlich nicht.“„Hm, na wir schauen es uns einfach mal an und wenn´s nicht geht, drehen wir um“, ist Toms Idee. „Keine Chance. Die Bergestrasse ist so eng, da könnt ihr garantiert nicht drehen.“ Wir bedanken uns für den Hinweis und beschließen erst mal weiter zu fahren – ähm, zu holpern.

Unser Plan ist es, so lange weiter zu fahren, so lange wir noch die Möglichkeit zum Wenden haben. – Und das war´s dann auch schon. Wir stehen vor einem steilen Hügel und die Straße wird deutlich enger. Was nun? Hier könnten wir zur Not noch wenden; wer weiß, wie es hinter dem Hügel ausschaut. Es wäre dumm, einfach „auf gut Glück“ weiterzufahren. Wir beschließen, dass es am sinnvollsten ist, wenn Tom den weiteren Streckenverlauf zu Fuß erkundet und ich im Womo auf ihn warte. Gesagt – getan: Funkgerät eingesteckt und los geht´s.

Lassen wir Tom nun selbst weitererzählen:

Es sind sicherlich nur ein paar Hundert Meter. Ich will wissen, ob wir an der Unfallstelle vorbei kommen und, falls nicht, ob wir auf der Bergstraße irgendwo drehen können.

Nach 10 Minuten kommt mir ein Auto entgegen und fragt, ob er mir helfen kann und ob ich ausreichend Wasser hätte. Ich lehne dankend ab. Nach weiteren 10 Minuten das nächste Auto mit der gleichen Frage. Oh Mann, hier geht´s ja zu wie auf der A9 im Berufsverkehr 😉

Nach ca. 30 Minuten - ich will eigentlich gerade umdrehen - kommt ein Pickup von hinten und stellt die gleiche Frage. Ich sage ihm, dass es dort einen Unfall geben soll und frage, ob er mich mitnehmen kann. Gesagt, getan. Ich springe auf die Ladefläche und fahre mit. Mein armer Hintern. Bist Du schon mal auf einer Ladefläche auf dem Boden gesessen wenn der LKW über eine unbefestigte Straße mit fetten Schlaglöchern fährt? Autsch 😉 Es hat so gerappelt, dass ich noch nicht mal Fotos machen konnte.

Nach ca. 10 Minuten Fahrzeit (!) mit dem Auto – da wäre ich ja ewig gelaufen - erreichen wir die Unfallstelle. Zwischendurch frage ich mich, wie ich wohl wieder zurückkommen würde. Ich bin so "clever" gewesen, dass ich noch nicht mal Wasser mitgenommen habe… Super gemacht, Tom.

An der Unfallstelle stehen bereits einige Militärfahrzeuge. Mein Fahrer erklärt meine Situation, und dass ich wieder zurück müsse. Nach einem kurzem Gespräch sagt er mir, dass ich auf dem Militär-Truck mit zurückfahren kann. Cool 🙂

Das Szenario an der Unfallstelle ist beeindruckend. Zum Glück ist hier keiner ernsthaft verletzt worden. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Der Schreck vom letzten Unfall steckt mir noch in den Knochen.


Ich schaue mir die Unfallstelle genau an. Schreite den Abstand zwischen dem LKW und der Felswand ab und stelle fest, dass es so gerade passen „könnte“. Ich schreite erneut ab. Diesmal in die andere Richtung. Warum? Vermutlich in der Hoffnung, dass es jetzt breiter ist. Verdammt. Warum kann es nicht eindeutiger sein? Das könnte gerade passen. Mann, das nervt. Ich werde nervös. Warum kann es nicht deutlich zu eng sein? Oder deutlich weit genug?

Auf dem Weg zur Unfallstelle war es teils relativ eng und sehr uneben. Stellen zum Wenden habe ich so gut wie keine gesehen. Und da ich mit Fred auf einer engen, unebenen Bergstraße mit teilweise sehr steilen und tiefen Abhängen nicht mehrere Kilometer rückwärts fahren will, entscheide ich mich gegen einen Versuch.

Ein bisschen mischt sich gerade mein Ego ein: „Ey, das wäre aber schon cool, wenn das passen würde. Und Spaß machen würde es auch. Und selbst wenn Du ca. 2h im Schritttempo eine gefährliche Straße rückwärts fahren müsstest, wäre das für Dich doch kein Problem.“ – „Was??? Scheiß Ego. Fuck the shut up!“, gehe ich in liebevolle Korrespondenz mit mir selbst 😉

„Vamos?“, fragt mich der Kommandante des Militär-Konvois. „Si. Vamos!“ antworte ich. Er deutet mir an, dass ich hinten auf dem Hummer mit aufsteigen soll. Wir sind zu Dritt auf der Ladefläche. Ein Soldat hinter einem auflafettierten (fest auf dem Fahrzeug montiertem) Maschinengewehr. Je ein Soldat rechts und einer links mit ihren normalen Sturmgewehren. Als wir über die holprigen Pisten zurück fahren und die Soldaten die umliegenden Berge mit ihren Adleraugen abscannen, kommen alte Erinnerungen wieder auf. Irgendwie cool. Nur, dass ich diesmal der einzige bin der weder eine Waffe hat noch – im Gegensatz zu allen anderen – eine schusssichere Weste trägt. Das finde ich wiederum irgendwie uncool 😉

Nach ca. 30 Minuten Fahrzeit kommen wir am Wohnmobil an und Enida macht große Augen, als sie mich mitten auf einem der Militärfahrzeuge sichtet. Ich sehe das große Fragezeichen in ihren Augen. Und nein … natürlich habe ich nichts angestellt 😉

Als ich mit einem breiten Grinsen vom Hummer absteige und mich freundlich bei „meinen Kameraden“ und dem Kommandanten bedanke, schaut auch Enida wieder entspannter.

Nachdem ich erst mal einen Liter Wasser getrunken habe, erzähle ich meiner Maus von meinem kleinen Abenteuer – und von meinem Entschluss, es einfach mal "auf gut Glück" zu wagen.

Nein, kleiner Scherz. Dafür kennt sie mich einfach zu gut 😉

Also heißt es jetzt für uns: Wenden in drei Zügen… oder in 4, 5, … 18… wir werden sehen 😉


>>> So hat alles angefangen: 1 bis 2 Jahre Nordamerika – die Idee

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